Mail vom 07.10.2022
Stellungnahme der Universitätsleitung zur Tagung „Das Ich im Wir“
Liebe Universitätsgemeinschaft, liebe Kolleg:innen,
viele von Ihnen werden die Diskussionen rund um die am 21./22. Oktober 2022 geplante Veranstaltung „Die Würde des Menschen – (un)antastbar?“ der Initiativgruppe „Das Ich im Wir“ verfolgt haben. Nach einem kritischen Artikel im „Volksverpetzer“-Blog erreichen uns nun viele Nachrichten, in denen die Sorge um den wissenschaftlichen Ruf unserer Universität angesichts eines Teiles der eingeladenen Referent:innen geäußert wird. Parallel dazu sind wir von der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) um eine Stellungnahme gebeten worden, die morgen (Samstag, 08.10.2022) erscheinen wird.
Wir möchten die Universitätsgemeinschaft heute vorab sowohl über diese Kontroverse als auch über die Haltung der Universitätsleitung informieren und unseren Standpunkt in dieser Sache begründen.
Die Veranstalter beabsichtigen, die Perspektivenvielfalt in Wissenschaft und Gesellschaft, die übergreifende Frage nach der Würde des Menschen und die Evaluation von Corona-Maßnahmen und -Impfungen zu thematisieren. Ein Teil der Inhalte und einige Referent:innen werden die inhaltlichen Positionen vieler Mitglieder der UW/H voraussichtlich nicht widerspiegeln. Das gilt allerdings für eine Vielzahl von akademischen Veranstaltungen, die von unterschiedlichen Initiativen oder Organisationen sowohl an unserer Universität als auch an anderen Hochschulen und Universitäten ausgerichtet werden – und in denen wichtige Themen kontrovers diskutiert werden.
Der unglaublich engagierte Einsatz der gesamten UW/H in einer seit 30 Monaten denkbar fordernden Epi- und Pandemie steht außer Frage. In der ambulanten und stationären Krankenversorgung tausender Patient:innen wurde von unseren Pflegenden und (Zahn-)Ärzt:innen genauso Außergewöhnliches geleistet wie in der beherzten Umstellung der gesamten Lehre und im interdisziplinären Aufbau unserer Teststationen und unserer Impfstraßen, mit denen wir einen substanziellen Teil der Wittener Bevölkerung versorgen konnten.
Ganz besonders ist zu betonen, was parallel zu all den medizinisch-pflegerischen Versorgungsaufgaben von unseren klinischen Wissenschaftler:innen und Grundlagenforscher:innen der Fakultät für Gesundheit in eng getakteter nationaler und internationaler Kooperation an wichtigen Erkenntnisbeiträgen geleistet worden ist. Mit anderen, einfachen Worten:
Unsere Universität hat sich mit allem, was sie hat, gegen diese Pandemie gestellt!
Da erscheint es vielen als pure Provokation, dass an der UW/H eine Tagung organisiert wird, in der grundlegende Aspekte dieser gemeinsamen Arbeit – aller Voraussicht nach – in Zweifel gezogen werden. Und geradezu unerträglich kommt hinzu, dass diese Tagung in den Medien so dargestellt wird, als würde sie die Haltung der gesamten Universität widerspiegeln. Vielleicht ist es daher verständlich, dass mehrere Stimmen in der Universitätsgemeinschaft laut werden, die ein Verbot der Tagung einfordern.
Und doch leben wir in einer Gesellschaft, zu deren unabdingbarem Fundament die Meinungsfreiheit gehört; in einer Gesellschaft, die Universitäten hat, die den kritischen Diskurs fördern und die Perspektivenvielfalt ermöglichen. Mit Voltaire gesprochen: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“
Wenn der Universität nun in größeren zeitlichen Abständen eine verschwörungstheoretische Nähe, eine Querdenker-Sympathie oder eine weltanschauliche Engstirnigkeit unterstellt werden – sollte uns das verunsichern? Nein! Wir haben keinen Grund, an unserer Unabhängigkeit, an unserem Erkenntnisdrang und an unseren weithin anerkannten wissenschaftlichen Beiträgen zur Lösung wichtiger Aufgaben in der Zivilgesellschaft zu zweifeln!
Eine solch kontroverse Tagung muss kritisch begleitet werden. Von einem Veranstaltungsverbot werden wir nur dann Gebrauch machen, wenn Recht verletzt wird, wenn persönlich angegriffen wird oder wenn die Universität unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit missbraucht wird, um nachweislich widerlegten Aussagen eine Bühne zu geben.
Wir setzen darauf, dass sich die an der Tagung beteiligten Wissenschaftler:innen und Kolleg:innen aus allen Bereichen unserer Universität an diesen Prämissen orientieren.
Es ist eine grundgesetzlich geschützte Aufgabe von Universitäten, den Wettstreit der Ideen und Perspektiven offen, lebendig und respektvoll auszutragen. Parallel dazu wollen wir mit aller Energie und wissenschaftlicher Methodenkompetenz daran mitwirken, dass das Erkenntnisfundament, auf dem unsere Perspektiven und inhaltlichen Positionen basieren, im Sinne der Aufklärung breiter, tragfähiger und belastbarer wird.
Ist diese Freiheit der Perspektiven und Meinungen grenzenlos? Nein. Aber sie sollte an keinem gesellschaftlichen Diskursort weiter gefasst sein als an unseren Hochschulen und Universitäten.
Martin Butzlaff Jan Peter Nonnenkamp Jan Ehlers Dirk Jakobs Petra Thürmann